Typisierung, Schweregrad und Lokalisation von Glaskörpertrübungen
Glaskörpertrübungen können sich auf einem Kontinuum von zarten Destruktionen, intransparenten Trübungen (sog. „Mouches Volantes“) bis hin zu wolkenartigen Arealen beträchtlicher Größe erstrecken. Wenn der Glaskörper noch in seiner festen Gelstruktur vorliegt, werden Kollagenverklumpungen außerhalb der Sehachse von Patienten häufig nicht bemerkt. Gibt es im zentralen Glaskörper bereits verflüssigte Areale (Lakunen), schwimmen aggregierte Bündel durch die Sehachse, weil sie keine feste Position mehr inne haben. Sie werden dann permanent als „Floater“ wahrgenommen.
Dass der Augenarzt die Trübungen bei der Untersuchung als weiße, der Patient dagegen als schwarze Strukturen sieht, ist dadurch zu erklären, dass das Licht, was durch die Pupille fällt einen Schatten auf die Netzhaut des Betroffenen projiziert. Der Arzt sieht die Struktur, der Patient den Schatten. Deshalb weichen die Wahrnehmungen von Arzt und Patient voneinander ab. Diesen Schatten kann der Arzt durch spezielle Untersuchungen, z. B. durch Fundusautofluoreszenz-Aufnahmen, sichtbar machen. Allerdings ist sie nur als Momentaufnahme zu verstehen, das Ausmaß der Mobilität der Trübungen kann damit nicht festgestellt werden.
Nachfolgend werden nur degenerative Formen von Glaskörperveränderungen betrachtet, die auf Struktur- oder Konfigurationsveränderungen zurückzuführen sind. Nicht berücksichtigt sind Sichtbeeinträchtigungen infolge von Einblutungen in den Glaskörperraum oder von anderweitigen Glaskörpererkrankungen (z.B. asteroide Hyalose).
Um die Art der Glaskörpertrübungen und den Schweregrad differential-diagnostisch zu beschreiben, ist die Unterscheidung des Typus als auch die Bestimmung der Schwere der Trübungen sinnvoll. Eine exakte Dokumentation ist im Rahmen der Erstuntersuchung, der Verlaufskontrolle, der nachvollziehbaren Quantifizierung von Trübungen als auch als Ausgangspunkt für eine etwaige Therapieplanung absolut unerlässlich. Für eine standardisierte Erhebung und die Möglichkeit Messergebnisse zu vergleichen, sollten möglichst Quantität und Qualität der Glaskörpertrübungen dezidiert beschrieben werden. Wird hierbei auf ein gleichbleibendes Beschreibungssystem zurückgegriffen, ist dies einfach und routiniert umsetzbar.
Aussagen zum Glaskörperstatus sollten standardmäßig Teil
des augenärztlichen Befundes sein.Patienten-Arbeitsgemeinschaft
Einteilung nach Typus
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Typ-1: feine Stränge, Verklumpungen und netzartige Gebilde
Verklumpungen der Kollagenfasern wie Punkte, Fäden, Drähte und Knäuel. Sie werden „Mouches volantes“ genannt und gehören typischerweise zu den Veränderungen im Frühstadium. Sie befinden sich innerhalb des Glaskörpers. Auch spinnennetzartige Strukturen sind bekannt.
Abgelöste freischwimmende Faserpartikel der inneren Netzhautmembran (ILM) bzw. der Glaskörperrinde (Cortex) nach stattgefundener Glaskörperablösung bewegen sich anfangs im Raum zwischen Netzhaut und hinterer Glaskörper, dem sog. retrovitrealen Raum. Dieser bildet sich nach der Ablösung unter Einströmung von Kammerwasser. Der Arzt diagnostiziert diese Trümmer (engl. debris) ebenfalls als „Mouches volantes“. Dennoch handelt es sich um eine Variante, da es keine Kollagenverklumpungen sind. Sie befinden sich außerhalb des Glaskörpers und bewegen sich asynchron mit den Trübungen innerhalb des Glaskörpers. Diese Art von Trübungen sackt mit der Zeit auf den Boden des Augapfels ab und wird noch eine zeitlang bei Körperbewegungen (Bücken, Sport, Schwimmen) hochgewirbelt. Ihre Anzahl nimmt jedoch stetig ab.
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Typ-2: Weiss-Ring-Floater
vormalige Anhaftungsstelle des Glaskörpers am Sehnerv (Papille). Über der Papille gibt es ein Loch in der Glaskörperrinde, welches mit präpapillärem Gliagewebe bedeckt ist. Kommt es bei einer Glaskörperabhebung zum Abriss dieses Gewebes, haftet es als sichtbarer Weiss-Ring am Glaskörpercortex 8, 29. Dieser Weiss-Ring kann einfach, zerrissen oder mehrfach vom Patienten wahrgenommen werden. Mehrfachringe aus Gliagewebe, welches schichtartig auseinander gerissen wurde, faltet und entfaltet sich unter Einfluss der ständigen Körperbewegungen ziehharmonikaartig.
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Typ-3: Syneresis-Wolke(n)
Verflüssigungen des natürlichen Gels, sog. Lakunen. Als Folge der Entmischung von Kollagenfibrillen, Hyaluronsäure und Wasser entstehen Schlieren und Wolken, die je nach Größe und Form erheblich variieren können 27. Sie befinden sich innerhalb des Glaskörpers. -
Typ-4: retrovitrealer „grauer Vorhang“, bzw. „graue Gardine“
Bei einer anomalen Glaskörperabhebung kann es zu einer Spaltung der lamellaren Schichten des Glaskörpercortexes kommen, wovon Teile an der inneren Netzhautmembran haften bleiben. Dies ist bekannt als Vitreoschisis. Auch kann es umgekehrt zum Abriss oder Teilabriss der inneren Netzhautmembran (ILM) kommen, die an der rückwärtigen Glaskörperrinde haften bleibt 8, 9. Mischformen sind wahrscheinlich. Der Patient nimmt dies als „grauer Vorhang“ wahr, in dem ein Muster aus Myriaden von einzelnen Pünktchen erkennbar ist, ähnlich Tesafilm, den man auf der Haut klebt und anschließend abreißt. Bei jeder Körper-, Kopf- und Augenbewegung verformt sich der Vorhang und flattert dabei wie „Bettwäsche auf der Wäscheleine im Wind“. In ruhender Augenposition nimmt das darin enthaltene Muster, in Bezug zum Weiss-Ring-Floater, stets die gleiche Formation an. Er bedeckt das gesamte zentrale Gesichtsfeld. Entscheidend für den Schweregrad dieser Beeinträchtigung ist die Menge der anhaftenden Anteile der ILM an der Glaskörperrinde. Sie sind als Risse auf OCT und helle Tüpfel auf FAG-Aufnahmen bzw. Fundusfotos zu sehen.
Paradoxon: diese Abbildungen zeigen, dass die Wahrnehmung des Weiss-Rings durch den Betroffenen erheblich abweichen kann von der objektiven Aufnahme. Er sieht den Weiss-Ring vierfach und zusammenhängend, wie die "Audi-Ringe", auch bei raschen Augenbewegungen trennen sie sich nie.
Abb. 9: Typ 3: Syneresis-Wolken; bei anliegendem Glaskörper sieht der Betroffene nur die Trübungen entlang der Sehachse, die Trübungen in der Peripherie sind für ihn nicht sichtbar
Einteilung nach Schweregrad
Eine Einteilung kann mit fließenden Übergängen in leichte, mittlere und schwere Glaskörpertrübungen erfolgen. Der Befund sollte Angaben zur verwendeten diagnostischen Methodik enthalten. Zukünftig wäre es wünschenswert noch weitere verlässliche Indikatoren zu erarbeiten, anhand derer eine sichere Zuordnung von Glaskörpertrübungen in eine geeignete, noch näher zu spezifizierende nosologische Systematik gelingt. Ebenso sollte die gewählte klinische Einteilung von Glaskörpertrübungen empirisch abgesichert sein und sich die Systematik dazu eignen, die häufigsten Glaskörperveränderungen verlässlich einigen wenigen Klassen (Typen) von Trübungen zuzuordnen.
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S1: dezente Glaskörpertrübungen
Jede Art von klar umgrenzten Strukturen wie Punkte, Striche, Drähte, Fäden, Spinnweben, Balken, usw., die in der Lage sind einen Schatten auf die Netzhaut zu werfen. Dabei hängt die wahrnehmbare Schärfe der Floater für den Patienten von der Distanz zur Netzhaut ab. Diese Art von Trübungen bedeckt nur einen kleinen Teil des Gesichtsfeldes. -
S2: mittelgradig ausgeprägte Glaskörpertrübungen
Jede Art von Wolken und Schlieren als Folge der Verflüssigung (Syneresis), die bei Augen-, Kopf- und Körperbewegungen das zentrale Gesichtsfeld durchwandern und entoptische Phänomene verursachen. Unterschiedliche Typen können bereits komplexere Trübungen bilden. Sie bedecken in der Ruheposition des Auges einen größeren prozentualen Anteil des Gesichtsfeldes. -
S3: stark bis sehr stark ausgeprägte Glaskörpertrübungen
Sehr stark ausgeprägte Floater bedecken das komplette Gesichtsfeld. Der Grad der Beeinträchtigung hängt mit der Mobilität der Trübungen zusammen. Durch sie werden dominierende und den Patienten stark einschränkende entoptische Phänomene erzeugt.
Einteilung nach Lokalisation
Glaskörpertrübungen können sich innerhalb des Glaskörpers, auf der rückwärtigen Glaskörperrinde und im retrovitrealen Raum befinden. Der retrovitreale Raum ist der Raum, der nach einer Glaskörperablösung zwischen hinterem Glaskörper und Netzhaut entsteht und sich mit Kammerwasser füllt. Ob die ausgefranste innere Netzhautmembran für getrübte Sicht verantwortlich zu machen ist, ist ungewiss. Diese Aspekte fanden bislang kaum Beachtung in Bezug auf den Schweregrad der visuellen Beeinträchtigung.
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innerhalb des Glaskörpers
Kollagenverklumpungen, degeneriertes Kollagenmaterial, verflüssigtes Glaskörpergel, Hyaluronsäureketten und denaturierte Proteine. -
auf der rückwärtigen Glaskörperrinde
nach der Glaskörperabhebung entsteht eine neue Fläche innerhalb des Auges, an der das einfallende Licht gebrochen und zerstreut wird. An ihr haften abgerissene Fasern bzw. Teile der inneren Netzhautmembran und abgerissenes Gliagewebe des Sehnervkopfes (Weiss-Ring), welche je nach Art der Ablösung - langsamer Prozess oder abrupter Kollaps - individuell unterschiedlich ausfallen. Je abrupter, desto mehr Material wird mitgerissen. Die Glaskörperrinde selbst kann faltig und zerfasert sein sowie Risse und Rupturen aufweisen. Diese Fläche ist daher nicht mehr transparent und glatt „wie ein Glaskörper“.
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außerhalb des Glaskörpers
Fasertrümmer des abgelösten Glaskörpers bzw. der inneren Netzhautmembran, möglicherweise auch der Nervenfaser- und Ganglienzellschichten befinden sich zwischen hintere Glaskörperrinde und Netzhaut; sie werden gelegentlich als „mouches volantes“ diagnostiziert, was irreführend ist, da es sich nicht um Kollagenverklumpungen innerhalb des Glaskörpers handelt. Diese Art von Trübungen sackt mit dem voranschreitenden Prozess der Glaskörperablösung auf den Boden des Augapfels ab. Sofern der Abfluss von Kammerwasser durch einen engen Kammerwinkel nicht behindert und das Gewebe des Trabekelmaschenwerks nicht fibrosiert is, werden die Partikel mit dem Kammerwasser aus dem Augapfel abfließen.
Abb. 14: Spaltlampenfoto mit Darstellung der faltigen hinteren Glaskörperrinde; auch diese Art von „Trübung“ verursacht Lichtstreuung und entoptische Phänomene
Abb. 15: Abgerissene Fasern der ILM; sie befinden sich innerhalb des retrovitrealen Raums bzw. Spalts und damit außerhalb des Glaskörpers, manchmal irrtümlicherweise als „mouches volantes“ diagnostiziert.